Gut zu wissen - ADHS – was ist das eigentlich? Warum wird ADHS bei Erwachsenen oft spät erkannt? Was sind eindeutige Symptome? Was tun, wenn wir uns selbst da drin wiederfinden? Wir haben nachgefragt.

Konzentrationsschwierigkeiten, ununterbrochenes Gedankenkarussell - das sind Standardsymptome von ADHS: Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. In den sozialen Medien ploppen momentan überall Videos zu dem Thema auf.

Ist ADHS nicht eine typische Kinderkrankheit?

ADHS ist eine neuronale Entwicklungsstörung, die im Kindesalter passiert. Erwachsene, die betroffen sind, haben Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn. Die Art, wie ihr Gehirn funktioniert, weicht von der definierten Norm ab. Deshalb sind Betroffene auch nie wirklich "geheilt".

Viele haben beim Begriff „ADHS“ das Bild vom nervigen "Zappelphilipp" vor Augen. Sind ADHS-Betroffene das im Erwachsenenalter auch?

Es gibt eine riesige Symptomvielfalt. Mal ist es schwächer und mal stärker ausgeprägt. Mal steht das Aufmerksamkeitsdefizit im Vordergrund, mal die Hyperaktivität und Impulsivität. Dr. med. Daniel Schumacher ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und hat die Problematik der Diagnose erklärt: "Da ADHS erst in den letzten 30, 40 Jahren zunehmend in den Fokus gerückt ist, gibt es definitiv eine diagnostische Lücke und viel Nachholbedarf."

Es gibt einige Zentren für die Diagnostik, aber die Wartezeiten sind meistens megalang. Deshalb gibt es viele Menschen, die unbehandelt bleiben. Erwachsene entwickeln dann Umgangsstrategien, um mit dem "Chaos im Kopf" klarzukommen.

Was wird denn Erwachsenen mit ADHS empfohlen?

Eine Verhaltenstherapie machen. Dabei lernen Patienten Umgangsstrategien, um sich beispielsweise besser zu organisieren. Zusätzlich gibt es Medikamente, die verschrieben werden können. Aber Dr. Schumacher legt Patient:innen auch Techniken wie Ausdauersport, Entspannungstechniken oder Achtsamkeisübungen ans Herz.

Momentan gibt es viele Postings auf Social Media zu ADHS. Woher kommen die?

Super viele Menschen teilen gerade ihren Leidensweg mit ADHS im Netz. Dadurch kann ADHS einem wie eine Modeerscheinung vorkommen, aber Betroffene haben einen echten Leidensdruck. Mit den bekanntesten Symptomen können grundsätzlich viele total relaten: kurze Konzentrationsspanne, nicht mit Langeweile umgehen können, immer auf der Jagd nach dem nächsten Dopamin - also Glückshormon-Kick. Aber die richtige Unterscheidung zwischen ADHS als neurobiologische Störung und dem Otto Normalo, der mal seinen Medienkonsum runterschrauben sollte, ist tricky.

Es scheint gerade so, als würden sich alle selbst diagnostizieren. Geht das überhaupt?

Einen Termin für die professionelle Diagnostik beim Doc zu bekommen, dauert häufig ein Jahr. Die fachärztliche Diagnose kann natürlich nicht durch Selbstdiagnose ersetzt werden. Lisa Vogel ist Betroffene und sagt, sie dachte immer, dass einfach alle Menschen dieses "Chaos im Kopf" haben:

"Dieses klassische Hyperaktive, was ich als Vorurteil hatte, hatte ich selbst gar nicht, sondern eher Dinge wie: an der Nagelhaut knabbern, auf die Lippe beißen, ständig mit dem Fuß wippen, irgendwo reinplatzen, reinreden, impulsives Rausblöken von dem, was ich gerade denke – das waren die eindeutigen Anzeichen. Und tatsächlich war das Chaos außen und innen der Punkt, wo dann zwei Therapeuten gesagt haben: 'Das klingt schon so, als hätten Sie ADHS.'"

Der große Unterschied zwischen "Normalos" und Leuten mit ADHS ist neben dem Leidensdruck die Intensität und Häufigkeit der Symptome. Betroffene werden regelmäßig von ihrem Nervensystem überwältigt. Dann liegen sie zum Beispiel ohne ersichtlichen Grund knock-out auf dem Boden und starren ins Leere.

Und was können Menschen machen, die den Verdacht bei sich selbst haben?

Sich ernsthaft wissenschaftlich zu informieren ist die Basis. Erfahrungsberichte können Inspiration für Umgangsstrategien sein. Lisa Vogels Tipp zur Selbstanalyse ist ein Symptomtagebuch. Jede:r vergisst mal einen Termin, aber nicht jeden Tag, das ganze Leben lang. Damit kann man dann auch gut vorbereitet zum Diagnostiktermin gehen. Lisa Vogel macht auch auf ihrer Insta Seite the.unnormal.brain außerdem Aufklärungs-Content rund ums Thema ADHS.

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